Montag, 22. Februar 2010

Die dekadente Bourgeosie.

Einigen ostdeutschen würde beim Wort Dekadenz
vielleicht noch so manch anderes einfallen als den schwestergewellten Sozialstaat, der nichts im Kopf hat ausser die harte Bestrafung minderbemittelter Unterschichtenpolitiker am Aschermittwoch.
Was ist eigentlich dekadent? Onkel Erich hätte gesagt, der Westen sei dekandent. Onkel Erich muss es wissen, denn er kennt einen mittlerweile verstorbenen Politiker, der ihm persönlich gesagt hat, was Dekadenz sei und seitdem hält sich Onkel Erich an die Worte des grossen Günter Mittag. Der Westen ist eben dekadent. Ungeachtet der Tatsache, dass jener amputierte Wirtschaftskapitän aus dem Osten Deutschlands, aus der »sogenannten DDR« diverse Neuentwicklungen, wie beispielsweise ein neues Design für den Trabant mit der Ausrede ablehnte, das sei zu dekadent für den Fortschritt des Sozialismus. Aber das vergisst Onkel Erich meist.
Wer nichts weiss, redet vom Preis
Apropos Westen, die Dekadenz hat sich hartnäckig gehalten, wenn sogar schon gelbe Politiker darüber reden und den Sozialstaat zu einem spätrömischen Sodom und Gomorrah machen. Die Frankfurter Allgemeine kann es natürlich nicht besser auseinander nehmen, das Thema Dekadenz. Unausgesprochen weist der Artikel auch darauf hin, wie man die Gesellschaft gerne hätte, vom Politiker angefangen, denn die sollen ja eine Vorbildfunktion besitzen, werden die Schwächsten der Gesellschaft beleidigt, getreten und als Abfall behandelt. Hatten wir das nicht schon einmal? Es ist keine hundert Jahre her, da musste sich eine ganze Bevölkerungsschicht ähnliche Beleidigungen über sich ergehen lassen. Für Onkel Erich ist die Sache natürlich klar. Die Politiker, er nennt sie allesamt Deppen und Verbrecher, tragen die Schuld. Onkel Erich würde sie alle gerne an die Wand stellen und dann wütend mit den nackten Finger auf sie zeigen. Für ihn ist es ein Skandal, daß man Menschen, denen man schon den Arbeitsplatz und die Würde genommen hat, noch mit Strafen droht, wenn sie keine neue Arbeit finden würden. Onkel Erich denkt da an Flucht wie schon damals die Nachbarn geflüchtet waren und alles Hab und Gut zurück lassen mussten. Er verschweigt aber nebenbei, dass sein eigener Vater zuerst geholfen hat, den Laden der plötzlich ungeliebten Nachbarn zu zertrümmern und dann hat er sich das hab und Gut der »Säue« selber angeeignet. Selbst die Sparbücher und Lebensversicherungen gehörten plötzlich nicht mehr den Nachbarn und Onkel Erichs Vater nannte sie plötzlich »Faule Säcke«.
Und Onkel Erich selber? Mit dem kleinbürgerlichen Blockwarttum seines Vaters wollte er nichts zu tun haben und deswegen wandte er sich freiheitlicheren Dingen zu. Fair und frei sollte die Welt sein und alles, was der Freiheit im Wege stand, musste beseitigt werden. Egal wie. Jetzt steht Onkel Erich in einer seltsamen Zwickmühle. Er wähnt sich frei und ist doch in seiner Welt gefangen. Seine Welt ist klein, eingeengt und voller verschrobener Ansichten. Für ihn ist es traurig, dass man zum pauschalen Verbrecher wird, wenn man keine Arbeit hat. Und er meckert auf die Roten, »die es ja schon einmal vergeigt haben«.
Onkel Erich ist auf seine alten Tage auch noch schlau. Da ist er einmal verreist und ausgerechnet in Hameln gelandet. Ob es ihm dort gefallen hat, darüber hat er nie gesprochen, aber er erinnerte sich an die Legende vom Rattenfänger von Hameln. Irgendwie wurde ihm danach klar, dass es schon einmal einen Schreihals gab, nach dem sogar ein Radio benannt wurde. Und heute? Heute werden die Arbeitslosen verhartzt. Da gehört Onkel Erich lieber zum alten Eisen, seine Pension verzehrend, lässt sich über die neuen Machthaber herrlich meckern, wer hört schon auf einen alten Sack, wie Onkel Erich? Der kann in alten Zeiten schwelgen, die immergleichen Platten vom Klassenkampf auflegen und von besseren Zeiten träumen.
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